Text/Foto: Stefanie Heinrich Fotos: Inga Seidler
Der innerstädtische Balkon an den Fassaden der Mietshäuser gehört erst seit dem Ende des 19. Jh. zum bürgerlichen Wohnstandard. Seither wird er ganz unterschiedlich genutzt und ausgestaltet wie z. B. die vielfältige Berliner Balkonkultur zeigt: als Abstellkammer, Ort der Entspannung, Raucherecke oder einfach nur als Ausguck. Beim näheren Hinsehen lassen sich ganz verschiedene Balkontypen ausmachen, die sowohl in Rein- als auch in Mischformen auftreten können.
Den Schmuckbalkon erkennt man an ausgewählten Dekorationselementen. Seltenheitswert haben Verzierungen, die das ganze Jahr über den Balkon verschönern. Die zyklisch auftretenden Schmuckbalkone zur Oster- und Weihnachtszeit dagegen dürften allseits bekannt sein. Wobei dieser Ausdruck feierlicher Stimmung mitunter in eine wahre Dekorationswut mündet.
Der Blumenbalkon zeichnet sich durch eine üppige Bepflanzung aus. Das Repertoire ist reichhaltig und variiert zwischen bunter Blütenpracht, Kletter- und Grünpflanzen. Typisch für den deutschen Blumenbalkon ist die Bepflanzung mit Geranien oder Petunien.
Doch gibt es auch Balkontypen deren ästhetisches Erscheinungsbild in den Hintergrund rückt. Das Hauptaugenmerk des Philosophiebalkons liegt auf die Bekanntgabe von Lebensansichten. Sie identifizieren ihn anhand aufgehängter Banner, die mit Appellen wie z.B. „Spreeufer für alle“ oder „Kein Ort für Nazis“ bedruckt sind. Neben diesen politischen Einstellungen kann ein „Fickt euch einfach alle“-Transparent eine ganz andere Lebenshaltung abbilden.
Eine sehr häufige Art des Haustierbalkons lässt sich anhand eines den Balkon umschießenden Netzes ausmachen, welches das Absturz oder Flucht des Tieres verhindern soll. Es sind überwiegend Katzen, denen das gesicherte Freiluftgehege – gern auch mit einem Kratzbaum – zur Verfügung gestellt wird. Hier und da kann auch ein Vogelkäfig gesichtet werden.
Gerade dieser Tage – zur Zeit der Fußball WM – ist der Flaggenbalkon keine Seltenheit. Zahlreiche Nationalflaggen zieren vom Balkon aus die Häuserfassaden. Doch auch außerhalb der WM hissen Fußballfans die Flagge ihres Teams, Nationalflaggen sind dann seltener auffindbar. Als Gegenprogramm bzw. unabhängig vom Sport begegnet man auch hin und wieder der schwarz-roten Flagge der linken Bewegung.
Die Häufigkeit der genannten Gestaltungsmerkmale und die Aktivitäten auf dem Balkon sind sehr stark von der Jahreszeit abhängig. Balkonien ist ein Land, das hauptsächlich im Sommer bereist wird. Wie die Wohnraumgestaltung zeigt auch der Balkon die persönlichen Präferenzen seiner Bewohner an und stärkt so – als ausgelagerter Teil der Wohnung – die Identifizierung. Seine Wandlungsfähigkeit und facettenreiche Erscheinungsform macht ihn zu einem interessanten Forschungsobjekt.
Mehr zu den Forschungen der Ethnologin Stefanie Heinrich über die Berliner Balkonkultur hier: www.berlinerbalkonkultur.wordpress.com